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Was bringt es, Gentests zu verbieten, wenn man sie übers Internet bestellen kann? Über diese und viele andere Fragen zu Medizin, Ethik und Recht sprach Rechtsprofessorin Brigitte Tag am Gönneranlass des Fonds zur Förderung des akademischen Nachwuchses (FAN) vom 13. Juni 2019.
Die medizinische Forschung kann und leistet vieles. Die Ethik fragt, was wir überhaupt wollen und sollen. Das Recht ist abwartend, oft sogar zögerlich. Nur wenn alle drei Disziplinen zusammenspielen, besteht ein guter Boden für die medizinische Versorgung.
Diese Skizze einer disziplinären Arbeitsteilung stammt von Brigitte Tag, Professorin für Strafrecht, Strafprozessrecht und Medizinrecht an der UZH. Sie war am vergangenen Donnerstag Gastrednerin am Gönneranlass des FAN, der zweimal im Jahr stattfindet. An den Anlässen bieten interessante Spitzenforschende aus verschiedenen Themengebieten sowie unterstützte Nachwuchsforschende einen Einblick in ihre Forschung.
Tag bot im Uniturm einen Überblick über ihre breit gefächerte Forschung an der Schnittstelle von Medizin, Ethik und Recht. Dafür spannte sie einen Bogen über den gesamten Lebenszyklus eines Menschen und über diesen hinaus, von Fragen im Bereich der Reproduktionsmedizin bis hin zum Thema der postmortalen Organspende.
Das Zusammenspiel zwischen Recht und medizinischem Fortschritt beleuchtete sie zunächst anhand des Verbots der Eizellenspende in der Schweiz. Gilt es dieses zu revidieren, wenn die Eizellenspende nicht mehr mit dem gleichen massiven medizinischen Eingriff verbunden ist wie früher?
Wie schwierig es ist, das richtige Mass zu finden, zeigte sie anhand der Frage auf, wann Kinder über medizinische Eingriffe und Behandlungen mitentscheiden dürfen. Kinder oder Jugendliche dürften in der Schweiz entscheiden, sobald sie reif genug seien, die Entscheidungsoptionen und die Tragweite des Eingriffs zu verstehen, erklärte Tag. «Das ist allerdings eine sehr vage Aussage», fügte sie an. Für eine Altersempfehlung, wonach Kinder für geringfügige Eingriffe ab 12 entscheiden dürfen, gebe es wiederum Ausnahmen in der Kinderonkologie. «Kinder mit einer langen Leidensgeschichte sind oftmals früher reif und urteilsfähig und können auch früher mitentscheiden», erklärte sie. Da gesetzlich eigentlich nur ein Bruchteil geregelt werden könne, seien ethischer Richtlinien und Empfehlungen für Ärzte und Ärztinnen umso wichtiger.
Internationalisierung berücksichtigen
Medizinethik und Medizinrecht müssen nicht nur den medizinischen Fortschritt, sondern auch eine Internationalisierung in der medizinischen Praxis berücksichtigen. Dies zeigte Tag anhand der Debatte um Gentests am Menschen auf. Bis anhin waren in der Schweiz kommerzielle Gentests ausserhalb des medizinischen Kontexts, die auch über Dispositionen für gewisse Krankheiten Auskunft liefern, verboten. Doch diese können heute einfach übers Internet bestellt werden. Würden Patienten mit einem negativen Resultat alleine gelassen, könne dies schwerwiegende Folgen haben, so Tag. Und dies obwohl eine Disposition für eine Krankheit nicht zwingend mit dem Eintreten dieser Krankheit verbunden ist. «Man hat gesehen, dass ethische Überlegungen nicht mehr mit dem Gesetz übereinstimmten», fasste sie die aktuelle Revision des Bundesgesetzes über genetische Untersuchungen beim Menschen zusammen.
Ungelöste Fragen
Im Hinblick auf das Lebensende wies sie auf das eher wenig beachtete Thema Spiritual Care hin und dabei auf ungelöste Fragen wie etwa zu einer allfälligen Speicherung von Daten in der Krankengeschichte. Zudem nahm sie die aktuelle Debatte um eine Änderung des Transplantationsgesetzes von der bisherigen erweiterten Zustimmungslösung zu einer erweiterten Widerspruchslösung auf, wobei die Initianten ihr Vorhaben als erweiterte Zustimmungslösung deklarieren. Sie wies einerseits auf den positiven Effekt hin, dass wohl mehr Organe transplantiert werden könnten, wenn eine Person einer Organspende nach ihrem Tod zu Lebzeiten nicht aktiv zustimmen, sondern einer Organspende widersprechen muss. Andererseits zeigte sie auch die Schattenseite dieses Modells auf: Bei diesem kann nicht ausgeschlossen werden, dass eine Organspende gegen den Willen einer verstorbenen Person geschieht, wenn diese ein Nein nie festgehalten hat. Der Körper der soeben verstorbenen Person würde damit zum «Allgemeingut». Dabei gerät in den Hintergrund, dass mit dem Tod zwar das Persönlichkeitsrecht untergeht, nicht aber die Menschenwürde. Sie wirkt über den Tod hinaus, präzisierte Tag die aktuelle rechtliche Grundlage dieser Diskussion.
Gendergerechte Medizin
Tag betonte nach ihrem Referat, wie wichtig die Ausbildung und Förderung von Nachwuchsforschenden im Bereich Medizin, Recht und Ethik sei und bedankte sich für die Unterstützung durch den FAN. Dieser hat 2018 auch eine Doktorandin im PHD Programm Biomedical Ethics and Law/Law Track gefördert, der Tag als Programmdirektorin vorsteht.
Aus den Reihen des Publikums kam die Frage auf, wie das Thema Gendergerechtigkeit im Dreiklang von Medizin, Ethik und Recht aufgenommen werde. Brigitte Tag wies auf die laufende Diskussion zu den Karrieremöglichkeiten von Frauen in der Medizin hin und erwähnte die Problematik, dass die medizinische Forschung den biologischen Unterschieden zwischen den Geschlechtern oft nicht gerecht wird. Viele Medikamente würden an jungen Männern getestet, Frauen hätten jedoch einen anderen Metabolismus. Folglich sollte eine an Männern getestete Medikamentierung in den meisten Fällen nicht eins zu eins für Frauen übernommen werden, erklärte Tag.
Anschliessend an das Referat von Brigitte Tag boten zwei vom FAN geförderte Nachwuchsforschende Einblick in ihre Forschungsprojekte. Es waren dies: Tobias Weiss, Postdoc am Asien-Orient-Institut, der zur japanischen Zivilgesellschaft forscht. Und Carol Jana Ribi, die in der Abteilung Vergleichende und Allgemeine Literaturwissenschaft am Romanischen Institut promoviert. Sie untersucht die Künstlerbücher der Zürcher Grafikerin und Künstlerin Warja Lavater.
Beitrag erschienen in UZH News, 19.06.2019, Text: Melanie Keim